Dr. Tim-Florian Steinbach
Der Mensch ein Mängelwesen? Zur Kritik der menschlichen Lebensform
Die Dichotomie des Natur-Kulturverhältnisses wird von den klassischen Positionen der philosophischen Anthropologie auf das Wesen des Menschen zurückgeführt: Der Mensch ist wesentlich unangepasst an die Natur, zugleich steht er der Welt offen gegenüber. Wird die menschliche Mängelwesenstruktur im Zuge dieser Begründungsfigur jedoch naturalisiert, dann zeigt sich diese anfällig für ideologische Vereinnahmungen. So spricht sich Arnold Gehlen dafür aus, die Institutionen einer Kultur in möglichst hohem Maße zu regulieren, um den Menschen vor einem Rückfall auf ein primitiveres Stadium seiner Entwicklung zu bewahren. Die Weltoffenheit des Menschen bezeugt dann nicht zugleich auch dessen Freiheit, wenn Freiheit mehr bedeuten soll, als sich im Rahmen institutioneller Absicherung von der Verantwortung des eigenen Handelns zu entlasten. Mit Hans Blumenberg lässt sich ein Gegenentwurf stark machen, der die Dichotomie von Natur und Kultur auf die Ebene der Kultur transponiert. Die naturgegebene Unangepasstheit erscheint dann als ein sekundäres Resultat von Kultivierungsprozessen, der Mensch als ein freies Wesen, das sich und seine eigene defizitäre Natur selbst hervorbringt.
CV
Dr. Tim-Florian Steinbach ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bergischen Universität Wuppertal (Post-Doc) am Lehrstuhl für Kulturphilosophie und Ästhetik (Prof. Hartung). 2018 promivierte er mit einer Arbeit zu Gelebte Geschichte, narrative Identität. Zur Hermeneutik zwischen Rhetorik und Poetik bei Hans Blumenberg und Paul Ricœur (Alber, 2020). Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a.: Kulturphilosophie und -kritik, Philosophische Anthropologie, Technikphilosophie, Methoden der Philosophiegeschichtsschreibung und Hermeneutik. Derzeit arbeitet er an einem Projekt zu „Kulturphilosophie und Kulturkritik im Ausgang von Hegels Theorie des objektiven Geistes“.