Zum Inhalt springenZur Suche springen

Kalendertermin

Johannes Röß "Welchen Lebensbegriff brauchen kritische Theorien? Überlegungen am Beispiel Siegfried Kracauers"

Aus den Instituten Philosophie Sonstiges
„Welchen Lebensbegriff brauchen kritische Theorien? Überlegungen am Beispiel Siegfried Kracauers“
Johannes Röß

 

Abstract:

Derzeit vollzieht sich eine Rückkehr des Lebensbegriffes in die Debatten der politischen Theorie und der Sozialphilosophie. Doch die Lebenssemantik und die historische Tradition der Lebensphilosophie werden insbesondere von gesellschaftskritischen Ansätzen mit Vorbehalt betrachtet: Die über den Lebensbegriff vollzogene Vernunftkritik bzw. die ihr zugrunde liegende Ontologie verunmögliche die konkrete Analyse von regressiven bzw. emanzipatorischen sozialen Kräften. Obwohl diese Kritik in manchen Punkten zutreffend ist, verkennt eine zu scharfe Zurückweisung lebensphilosophischer Ansätze, dass sich in der lebensphilosophischen Infragestellung eines Natur-Geist-Dualismus auch Parallelen zu zentralen Einsichten der Kritischen Theorie zeigen, in deren ursprüngliches philosophisches Selbstverständnis weit mehr Lebensphilosophie Eingang gefunden hat, als ihre Vertreter für gewöhnlich zugestehen. In welchem ideengeschichtlichen Verhältnis stehen Lebensphilosophie um 1900 und die frühe Kritische Theorie?  Und welcher Lebensbegriff ist für kritische Theorien angesichts der ökologischen Krise der Gegenwart notwendig? Der Vortrag möchte sich diesen Fragen ausgehend vom Werk Siegfried Kracauers annähern.

Zur Person:

Johannes Röß studierte Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main, wo er aktuell als assoziierter PostDoc am Institut für Sozialforschung lehrt und forscht. Im Dezember 2021 promovierte er mit einer Arbeit über Georg Simmel, welche unter dem Titel Zwischen Freiheit und Entfremdung. Eine Sozialphilosophie des Geldes nach Georg Simmel im Herbst 2023 bei Campus erscheinen wird. Im Frühjahr 2020 war als Visiting Scholar am Department of Philosophy der Columbia University in New York. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Sozialphilosophie, Kritische Theorie, Wirtschaftsphilosophie und Psychoanalyse. Aktuell untersucht er insbesondere das Verhältnis von Lebensphilosophie und kritischer Theorie.

Zur Vorlesungsreihe

Das 19. Jahrhundert ist geprägt von der Entstehung unabhängiger Einzelwissenschaften und einer damit verbundenen Kompartmentalisierung von Erkenntnis: Spezifische Erfahrungsbereiche werden jeweils zum Gegenstand einer für sie mehr oder weniger exklusiv zuständigen Einzelwissenschaft, deren Methoden- und Begriffsinventar sich von demjenigen anderer Disziplinen unterscheidet. Als Kind des 19. Jahrhunderts erwächst die Lebensphilosophie nicht zuletzt in kritischer Absetzung von dieser Tendenz einer Entkopplung der Wissenschaften von anderen gesellschaftlichen Systemen und ihrer Auffächerung in Subdisziplinen und Spezialgebiete. Sie ist, wie Otto Friedrich Bollnow plakativ anmerkt, „durch eine ganz bestimmte Kampfstellung gekennzeichnet“, die sich insbesondere gegen die Vorstellung richtet, der Mensch als philosophierendes Subjekt ließe sich adäquat als Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis erfassen. Über die ,Abstoßbewegung‘ von einseitigen szientistischen und positivistischen Versuchen, das unmittelbare Erleben von Sinnhaftigkeit und individuellen Gestaltungsmöglichkeiten in formale Kategorien zu übersetzen, hinaus, geben die Vertreter der Lebensphilosophie damit einen wichtigen Impuls für die Weiterentwicklung philosophischer Methoden, der etwa in der Phänomenologie oder der Hermeneutik Ausdruck gefunden hat. Vor diesem Hintergrund werden im wöchentlichen Wechsel Expertinnen und Experten der Lebensphilosophie sowohl exemplarische Auseinandersetzungen mit einzelnen Positionen lebensphilosophischen Denkens von Schopenhauer und Nietzsche bis Dilthey und Simmel als auch Kontinuitäten zwischen der Lebensphilosophie und nachfolgenden Strömungen sowie systematische Weiterentwicklungen präsentieren.

ICS

Veranstaltungsdetails

22.05.2023, 16:30 Uhr - 18:00 Uhr
Ort: 23.21.U1 Raum 48
Verantwortlichkeit: