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Kalendertermin

Christina Kast: "Wollen oder Leiden - Arthur Schopenhauers Entfesselung des Lebens in der Philosophie"

Aus den Instituten Philosophie Sonstiges
„Wollen und Leiden – Arthur Schopenhauers Entfesselung des Lebens in der Philosophie“
Christina Kast

Abstract:

Arthur Schopenhauer gilt als der Urvater der Lebensphilosophie. Auf dem Gipfel des Deutschen Idealismus wendet er sich radikal gegen den abendländischen Glauben an Vernunft, Fortschritt und Teleologie und macht, wie kein Philosoph vor ihm, das Leben zum Angelpunkt seines philosophischen Systems, das er unter der Formel der „Welt als Wille und Vorstellung“ subsumiert.

Leben ist für Schopenhauer der dunkle Urgrund aller Dinge, ein triebhafter und blinder Wille zum Leben – ein irrationales Ding an sich. Indem er die Unvernunft ins Wesen der Dinge trägt, bricht er mit der rationalistischen Überzeugung der Erkennbarkeit und Beherrschbarkeit von Welt und Selbst. Leben lässt sich nicht in Wissensstrukturen einfangen und verfügbar machen, sondern nur erfahren. Die Grunderfahrung menschlichen Lebens sieht Schopenhauer im Wechselspiel von Wollen und Leiden: Wollen ist der grundlegende Antrieb des Menschen, sein Begehren darin unstillbar. Insofern Wollen Schmerz, da Ausdruck von immergleichem Mangel, ist, gehört das Leiden unauflöslich zur menschlichen Existenz, wobei das innere Leiden sich unaufhörlich mehrt in den Gebrechen des menschlichen Leibes, der Erfahrung von Vergänglichkeit sowie dem zwischenmenschlich zugefügten Leid. Das Verhängnis menschlicher Existenz ist für Schopenhauer nicht aufhebbar. Nur dem Einzelnen bleibt die Suche nach Erlösung in Kunst und Askese.

Dem Unbehagen, welches Schopenhauers Beleuchtung der dunklen Seiten des Daseins erregt, will der Vortrag den Wert einer solchen Weltbetrachtung entgegenstellen: Gerade weil Schopenhauer die Leiden des Menschen, wie kein Zweiter, zum Mittelpunkt seiner Philosophie macht, gilt sein ganzer Ernst dem konkreten Menschen – nicht einer Idee von Mensch. Die Grenze, die er davon ausgehend der Verfügbarkeit von Welt und Selbst zieht, kann ein heilsames Korrektiv sein, im Individuellen wie im Politischen.

Zur Person:

Christina Kast ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für philosophische Anthropologie, Kultur- und Technikphilosophie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Sie wurde mit einer Arbeit zum Verhältnis von Begründung und Bejahung des Lebens bei Friedrich Nietzsche an der Universität Passau promoviert. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Kultur- und Kunstphilosophie, der politischen Philosophie und der Ethik, mit angrenzenden Themen der Phänomenologie, der philosophischen Anthropologie sowie der Existenz- und Lebensphilosophie.

Sie ist Herausgeberin des Bandes Pessimistischer Liberalismus – Arthur Schopenhauers Staat in der Reihe Staatsverständnisse (Nomos Verlag); im Sommer 2023 erscheint in Co-Herausgeberschaft ein Band mit Beiträgen zum Verhältnis von Philosophie und Verzweiflung im Verlag Karl Alber.

Zur Vorlesungsreihe

Das 19. Jahrhundert ist geprägt von der Entstehung unabhängiger Einzelwissenschaften und einer damit verbundenen Kompartmentalisierung von Erkenntnis: Spezifische Erfahrungsbereiche werden jeweils zum Gegenstand einer für sie mehr oder weniger exklusiv zuständigen Einzelwissenschaft, deren Methoden- und Begriffsinventar sich von demjenigen anderer Disziplinen unterscheidet. Als Kind des 19. Jahrhunderts erwächst die Lebensphilosophie nicht zuletzt in kritischer Absetzung von dieser Tendenz einer Entkopplung der Wissenschaften von anderen gesellschaftlichen Systemen und ihrer Auffächerung in Subdisziplinen und Spezialgebiete. Sie ist, wie Otto Friedrich Bollnow plakativ anmerkt, „durch eine ganz bestimmte Kampfstellung gekennzeichnet“, die sich insbesondere gegen die Vorstellung richtet, der Mensch als philosophierendes Subjekt ließe sich adäquat als Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis erfassen. Über die ,Abstoßbewegung‘ von einseitigen szientistischen und positivistischen Versuchen, das unmittelbare Erleben von Sinnhaftigkeit und individuellen Gestaltungsmöglichkeiten in formale Kategorien zu übersetzen, hinaus, geben die Vertreter der Lebensphilosophie damit einen wichtigen Impuls für die Weiterentwicklung philosophischer Methoden, der etwa in der Phänomenologie oder der Hermeneutik Ausdruck gefunden hat. Vor diesem Hintergrund werden im wöchentlichen Wechsel Expertinnen und Experten der Lebensphilosophie sowohl exemplarische Auseinandersetzungen mit einzelnen Positionen lebensphilosophischen Denkens von Schopenhauer und Nietzsche bis Dilthey und Simmel als auch Kontinuitäten zwischen der Lebensphilosophie und nachfolgenden Strömungen sowie systematische Weiterentwicklungen präsentieren.

ICS

Veranstaltungsdetails

15.05.2023, 16:30 Uhr - 18:00 Uhr
Ort: 23.21.U1 Raum 48
Verantwortlichkeit: