Im Rahmen des Kolloquiums der Praktischen Philosophie laden wir herzlich ein zum Vortrag von

Prof. Dr. Maria-Sibylla Lotter (Bochum)
Schuld mit Blick auf historisches Unrecht

Wir sind heute gewohnt, unter Schuld die moralische oder strafrechtliche Verantwortung des einzelnen Täters für vorwerfbare Entscheidungen zu verstehen, auf die mit Strafe oder sozialen Sanktionen reagiert wird. Wenn hingegen von kollektiver Schuld die Rede ist, dann wird dies in der Regel entweder als eine abkürzende Redeweise verstanden, die die moralische und rechtliche Schuld vieler Einzelner zusammenfasst, oder als eine primitive Denkweise beurteilt, die unsinnigerweise Personen nicht aufgrund ihrer eigenen Entscheidungen, sondern als Mitgliedern einer Familie, Ethnie oder Nation eine Schuld an etwas zuschreibt, das zu verhindern gar nicht in ihrer Macht lag. Im Vortrag werden wichtige Veränderungen der Schuldsemantik seit der Antike bis zum heutigen Verständnis persönlicher Schuld im moralischen und rechtlichen Bereich skizziert. Damit sollen die Schwierigkeiten verdeutlicht werden, die sich aus der modernen Individualisierung und Moralisierung des Schuldbegriffes sowohl für die Alltagspraxis als auch für den angemessenen Umgang mit kollektiven Verbrechen ergeben.

Maria-Sibylla Lotter ist seit 2014 Professorin für Philosophie der Neuzeit, Ethik und Ästhetik am Institut für Philosophie I der Universität Bochum. Sie studierte Philosophie, Religionswissenschaft und Ethnologie in Freiburg, Berlin und St. Louis/USA und war anschliessend an verschiedenen Universitäten in Deutschland und der Schweiz in der philosophischen Forschung und Lehre tätig. Ihre derzeitigen Forschungsschwerpunkte betreffen das Verhältnis von Ethik und Ästhetik, die Bedeutung der Wahrheitstugenden im kulturellen und politischen Kontext und Fragen von Schuld und Verantwortung.  Zu ihren Veröffentlichungen zählen eine Monographie zur Metaphysik A. N. Whiteheads, diverse Aufsätze und Sammelbände zur Geschichte der Philosophie und zu Fragen der Ethik, der Kulturtheorie und dem Verhältnis von Philosophie und Film, eine Reihe von Übersetzungen aus dem Englischen und eine Monographie zu den interkulturellen Grundlagen von Moral mit dem Titel Schuld, Scham und Verantwortung. Derzeit arbeitet sie an einer philosophischen Anthologie zur Geschichte der Lüge, die bei Reclam erscheinen wird, und einer kleinen Textsammlung zur ethischen Relevanz von Theater, Film und Literatur, die in der Zeitschrift für Ethik und Didaktik der Philosophie erscheinen wird.