Zum Inhalt springen Zur Suche springen

Matthias Flatscher: „Die ethisch-politische Wende der Phänomenologie. Emmanuel Levinas’ Figur des Dritten"

Akademische Veranstaltungen

Betrachtet man die Phänomenologie aus einer philosophiehistorischen Perspektive, so bricht sie mit der Frage nach dem Anderssein des Anderen radikal mit den Themen der Tradition. Man kann daher behaupten, dass das Problemfeld der Alterität erst durch die Phänomenologie dezidiert in den Blick philosophischer Aufmerksamkeit gerückt ist. Die Frage nach dem Anderen wurde innerhalb dieser philosophischen Ausrichtung seit jeher gestellt – neben den bekannten Überlegungen Husserls in der V. Cartesianischen Meditation sei auch an die drei umfangreichen Bände zur Intersubjektivität erinnert, die eindringlich sein Ringen mit dieser Thematik von 1905 bis 1935 dokumentieren (vgl. Hua XIII-XV) –, sie schwelte jedoch zunächst unter der Oberfläche und wurde insbesondere in einer ersten Rezeptionsphase zugunsten gegenstandskonstitutiver Analysen oftmals vernachlässigt. Doch die Alteritätsproblematik entpuppte sich zunehmend – und tut dies immer noch – als eine der dringlichsten Herausforderungen des klassischen und nachklassischen phänomenologischen Denkens, denn die Momente der Irritation, die eine Erfahrung des Anderen mit sich bringt, wirken weit nachhaltiger: Die Andersheit bleibt nämlich nicht beiläufig, sondern kann verstörende Rückwirkungen auf das eigene Selbstverständnis haben. Dabei geht es nicht nur um eine äußerliche Wahrnehmung von Andersartigkeit, die sich nahtlos in eine Reihe diverser Erfahrungen einordnen ließe, sondern vielmehr um ein Anders- und Fremdwerden der eigenen Erfahrung. 

Gerade das Denken von Emmanuel Levinas (1905-1995) hat umfangreiche Konsequenzen aus dieser Erfahrung der „Ver-Anderung“ gezogen und neue Überlegungen des Ethischen und Politischen angestoßen. In meinem geplanten Vortrag möchte ich diese Entwicklung unter dem Label einer „ethisch-politischen Wende der Phänomenologie“ diskutieren und dabei vor allem Levinas’ Spätwerk Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht (1974) in den Mittelpunkt rücken. Mein Ziel ist es zu zeigen, dass der Begriff der Andersheit in Levinas' nachklassischer Phänomenologie nicht nur ein starkes Potenzial für die Kritik des traditionellen Subjektverständnisses und einer erkenntnistheoretischen Ausrichtung des Denkens besitzt, sondern im Rückgriff auf die Figur des Dritten auch einen radikal neuen Versuch darstellt, neue ethisch-politische Denkweisen, Formen der Verantwortung und Gerechtigkeit zu entwerfen.

Matthias Flatscher ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Würzburg und arbeitet an der Schnittstelle von politischer Philosophie und Sprachphilosophie. Seine Forschung konzentriert sich auf Diskurse über Solidarität, Reaktionsfähigkeit und Alterität, wobei er sich insbesondere mit phänomenologischen, poststrukturalistischen und kritischen theoretischen Ansätzen sowie mit neueren Formen der (radikalen) Demokratietheorie befasst.

ICS

Veranstaltungsdetails

01.12.2025, 16:30 Uhr - 18:00 Uhr
Ort: 24.21.U1.44