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Neues Forschungsprojekt: Kognitiv-Rationale Rekonstruktion

Ab Dezember 2024 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Projekt zu Argumentation und Kognition.

Das Forschungsprojekt “Kognitiv-Rationale Rekonstruktion” wird geleitet von Prof. Dr. Gottfried Vosgerau und Dr. David Löwenstein. Dr. Nastasia Müller komplettiert das Team als Projektmitarbeiterin. Gemeinsam widmen sich die drei Philosoph:innen zentralen Fragen an der Schnittstelle von Argumentationstheorie und Kognitionswissenschaften.

Projektbeschreibung

Ziel der Argumentationstheorie und der angewandte Argumentanalyse ist es, Begründungen und Begründungsstrukturen verständlich zu machen. Dazu werden rationale Rekonstruktionen von einzelnen Argumenten sowie von Netzwerken mehrerer aufeinander bezogener Argumente vorgelegt und philosophisch reflektiert. Dabei werden auch implizite Elemente sichtbar gemacht, etwa implizite Prämissen, teils aber auch implizite Konklusionen oder gar ganze implizite Argumente, die sich aus der womöglich nicht explizit benannten Rolle eines Beitrags in einer komplexeren Diskussionssituation ergeben.

Das Problem ist jedoch, dass menschliche Überzeugungsbildung oft „irrationalen“ Einflüssen unterliegt, die zu falschen Überzeugungen führen. Bislang spielen kognitive Verzerrungen bei der Rekonstruktion von Argumenten praktisch keine Rolle. Ein Grund dafür dürfte sein, dass kognitive Verzerrungen Prozesse sind, die in der Regel unbewusst ablaufen und auch nicht bewusst gesteuert werden können. Da sie zumindest vordergründig keiner oder nur geringer kognitiver Kontrolle unterliegen, scheint es, dass sie daher in Argumenten auch nicht als Prämissen oder Gründe angeführt werden können.

Ein weiterer Grund, dass kognitive Verzerrungen in der Argumentrekonstruktion bislang nicht berücksichtigt wurden, liegt darin, dass kognitive Verzerrungen qua ihrer Definition als „irrational“ gelten. Bei der Argumentrekonstruktion ist jedoch mit guten Gründen das Prinzip des Wohlwollens wichtig. Nach diesem Prinzip sollen Argumente stets möglichst stark, rational und plausibel rekonstruiert werden, einschließlich impliziter und wohlwollend reformulierter Elemente. Eine adäquate Einbeziehung der Tatsache, dass Menschen Überzeugungen auf „irrationale“ Weise bilden, ist somit bei der Argumentationsrekonstruktion methodisch deutlich erschwert, vielleicht sogar ausgeschlossen.

Ziel des vorliegenden Projekts ist es, kognitive Verzerrungen und andere Erklärungsstrategien, wie Informationsdefizite oder Tugenddefizite, in die Rekonstruktion von Argumenten zu integrieren, ohne das Prinzip des Wohlwollens zu verletzen. Die bestehende Methode der rationalen Argumentrekonstruktion soll ergänzt und weiterentwickelt werden, hin zur neuen Methode der kognitiv-rationalen Rekonstruktion von Argumenten.

Diese Methode soll dazu dienen, auch dort Begründungen sichtbar zu machen, wo sie bisher nicht sichtbar waren. Dadurch sollen die aus der psychologischen Forschung bekannten Effekte kognitiver Verzerrungen und Biases, so weit irgend möglich, als Teile der inhaltlichen Debatte sichtbar werden statt als vermeintlich irrationale Fremdkörper oder evolutionär herausgebildete Automatismen unsichtbar zu bleiben. Dies bildet die Grundlage für eine faire Diskussion von Begründungen, die nicht im ideal-rationalen Raum verbleibt, sondern an empirische Gegebenheiten des menschlichen Denkens anschließt.

Kategorie/n: Allgemein, Philosophie, Aus den Instituten