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Newsmeldung

Ringvorlesung| Umkämpfte Begriffe: Philosophische Perspektiven auf "Rassismus", "Sexismus", "Antisemitismus", ...

In diesem Sommersemester findet eine durch Geert Keil, Markus Schrenk und Anna Schriefl organisierte Ringvorlesung zum Thema "Umkämpfte Begriffe: Philosophische Perspektiven auf Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, ..." in Kooperation zwischen der HHU Düsseldorf und der HU Berlin statt.

Was ist Rassismus, was ist Antisemitismus, Sexismus, Klassismus, Islamfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Homophobie etc.? Die Ringvorlesung verfolgt das Projekt, die schwierigen begrifflichen Abgrenzungsprobleme, die sich bei der Definition der unterschiedlichen Arten gruppenbezogener Diskriminierung stellen, einmal im Zusammenhang zu erörtern.  

Im Fokus sollen bei dieser Veranstaltung nicht die moralischen Fragen stehen (Welche Art von Übel ist gruppenbezogene Diskriminierung?), nicht die politischen (Wie bekämpft man diese Übel effektiv?) und auch nicht die fachpolitischen (Wie kann die akademische Philosophie inklusiver werden?). Vielmehr wollen wir gezielt Definitionsprobleme und daran angrenzende metaphilosophische Fragen in den Blick nehmen.

Dies erscheint gerade auch aus außerakademischem Interesse von Nutzen zu sein: In der öffentlichen Debatte ist die Konstellation häufig, dass eine Person als »x-istin« oder ein Phänomen als »X-istisch« eingestuft werden, über diese Einstufung aber Dissens besteht. Es ist sogar die Mehrheit der öffentlichen Kontroversen, in denen die Einstufung selbst der primäre Gegenstand des Streits ist. Es gibt mittlerweile einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens über die moralische Ächtung von Rassismus, Antisemitismus etc.  Zugleich besteht Uneinigkeit darüber, welche Phänomene unter die betreffenden Ismen fallen (sollten) und welche nicht. Man könnte sagen: Es ist ein Streit um Worte, aber einer um wichtige Worte.

Dieser Streit wird außerhalb der Akademie in der Regel politisch geführt: Wir hätten es mit Begriffspolitik oder Kämpfen um Deutungshoheit zu tun, in denen jede Partei sich den umstrittenen Begriff passend zu den eigenen gesellschaftspolitischen Überzeugungen zurechtschneidert – so, dass die jeweils gewünschte Sortierung von eigenen und gegnerischen Positionen herauskommt.  

Gegenüber dieser agonalen Perspektive ist die Lehrveranstaltung von der Überzeugung getragen, dass die Philosophie ihre Stärken eines klärungs- und aufklärungsorientierten Diskurses nur zur Geltung bringen kann, wenn sie die begrifflichen Fragen nicht zu schnell beiseitelegt, normative Aspekte aber einbezieht. Sie sollte ihre begriffsklärende und normative Expertise hinsichtlich der Metafrage einsetzen, woran sich bemisst, wie die Grenzen zwischen X-mus und Nicht-X-mus jeweils vernünftigerweise zu ziehen sind.  

Dabei stößt sie auf eine Reihe von Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Ismen, die gruppenbezogene Diskriminierung bezeichnen:  

  • Alle diese Ausdrücke sind »thick concepts«, die zugleich deskriptive und evaluative Anteile aufweisen.  
  • Alle sind »wesentlich umstrittene Begriffe« im Sinne Gallies: sie sind offen für historische Abwandlungen, intern komplex und evaluativ kontrovers. Sie enthalten mehrere definitorische Komponenten, die sich unterschiedlich gewichten lassen und deshalb umstritten sind, wobei die am Diskurs Beteiligten um die Umstrittenheit wissen.  
  • Es scheint sich, in anderer Terminologie, um Bündelbegriffe zu handeln, die nicht nur »soritisch vage«, also randbereichsunscharf sind, sondern zusätzlich »kombinatorisch vage« (Alston).  
  • Alle sehen sich dem Bedenken gegenüber, dass ein zu enges Verständnis nur manifeste, nicht aber subtile Formen des Phänomens erfasse. Spiegelbildlich sehen sie sich dem Einwand des »concept creep« (Haslam) ausgesetzt.  
  • Alle werfen auch die Frage auf, wie sich jeweils der einstellungsbezogene Sinn zum wirkungsbezogenen oder »strukturellen« verhält. Im sozialwissenschaftlichen Konzept der »gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit«, das auf »Ideologien der Ungleichwertigkeit« abstellt (Zick et al.), steht der einstellungsbezogene Sinn im Vordergrund. Diese Fokussierung ist aber insbesondere in der Rassismus- und der Antisemitismusforschung zunehmend in die Kritik geraten. Residiert Rassismus wirklich »im Herzen« oder nicht vielmehr anderswo (Shelby)? Oder auch anderswo?  

An diese Gemeinsamkeiten knüpfen sich eine Reihe von metaphilosophischen Fragen, u.a.: 

  • Sind einstellungsbezogene und »strukturelle« Formen eines solchen Ismus überhaupt Spezies eines gemeinsamen Genus? Falls nicht, wie verhalten sie sich zueinander?
  • Bei der Analyse der Ismen scheint die klassische Begriffsanalyse, also die Angabe notwendiger und gemeinsam hinreichender Bedingungen, an Grenzen zu stoßen. Woran liegt das?
  • Bieten sich die Ausdrücke für »conceptual engineering« und »ameliorative Begriffsanalyse« an? Sind diese neueren metaphilosophischen Projekte, also das Ausrichten begrifflicher Festlegungen an bestimmten Zwecken, vielleicht nur ein Euphemismus für Begriffspolitik? Bietet die Charakterisierung der Philosophie als »Conceptual Engagement« («reflecting on our concepts with a view to self-understanding and improvement«) eine Aufgabenbestimmung, hinter der sich traditionell begriffsanalytische und ameliorative Projekte versammeln können?
  • Welche Zwecke und Ziele sprechen für weite X-mus-Begriffe, welche für enge? An dieser Stelle werden moralische, politische und rechtliche Fragen ihren Weg in die Lehrveranstaltung finden.
  • Welche Rolle muss der Einbezug der Perspektive Betroffener spielen? Erstreckt sich das von der »Standpunkterkenntnistheorie« angenommene epistemische Privileg der Angehörigen marginalisierter Gruppen auch auf Fragen der begrifflichen Abgrenzung?
  • Welche Rolle spielt die historische Variabilität der X-mus-Begriffe? Das aktuelle Projekt »Wie umgehen mit Rassismus, Sexismus und Antisemitismus in Werken der Klassischen Deutschen Philosophie?« fokussiert auf die Verstrickung exemplarischer Texte in x-istische Denkmuster. Müssen die relevanten Verständnisse von »X-mus« historisch spezifiziert werden, lassen sie sich rückprojizieren, gibt es invariante begriffliche Kerne? 

Für die diversen Aspekte des Problemfeldes werden einschlägig arbeitende philosophische Expert:innen gewonnen. Voraussichtlich werden wir exemplarisch einen Teil der genannten Ismen herausgreifen. In der Regel ist die Hälfte der 90minütigen Sitzung für eine Präsentation reserviert, die andere Hälfte für die Diskussion. 

 

Hören können Sie die einzelnen Vorträge auf dem Youtube-Kanal der GAP:  https://www.youtube.com/@gap-philosophie/streams

Die einzelnen Vorträge finden sich außerdem in den Terminen auf unserer Institutshomepage.

Kategorie/n: Allgemein, Philosophie III, Veranstaltungen, Philosophie, Aus den Instituten
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