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Kalendertermin

Kolloquium: Prof. Dr. Andreas Bartels - "Weshalb auf die Wissenschaft hören?"

Philosophie Kolloquium des Instituts

Auf die Wissenschaft zu hören heißt nicht, ihr (bedingungslos) zu folgen. Die Wissenschaft ist keine autoritative Instanz, die der Gesellschaft die Richtung ihrer Entwicklung vorgeben kann. Andererseits hat wissenschaftliche Expertise die Aufgabe, die Öffentlichkeit über drohende Gefahren (wie den Klimawandel) aufzuklären – sagesse oblige. Auf die Warnrufe der Wissenschaft zu hören ist grundsätzlich vernünftig, aber Wissenschaftsvertrauen erfordert in jedem Einzelfall gute Gründe – und sollte jeweils nur soweit reichen, wie solche guten Gründe tragen. Voraussetzung dafür ist, auf Seite der Wissenschaftslaien, ein Grundverständnis wissenschaftlicher Qualitätskriterien: Was macht z.B. die Güte einer wissenschaftlichen Studie aus, die es rechtfertigt, sich an ihren Ergebnissen zu orientieren? Ich diskutiere solche Qualitätskriterien am Beispiel einer 2020 an der Charité durchgeführten Studie zur Viruskonzentration bei Covid 19-infizierten Kindern. Worauf es ankommt, ist die Identifikation möglicher verfälschender Faktoren vor der Entscheidung, welche Daten erhoben werden, ebenso wie die kritische Überprüfung der Aussagekraft der erhobenen Daten (Viruskonzentration) für die interessierende Variable (Infektiosität). Wissenschaftsvertrauen wird in diesem Fall durch intensive Fehlerelimination in Planung und Durchführung der Studie gerechtfertigt. Als Problem für das Wissenschaftsvertrauen der Öffentlichkeit können sich verschiedene Formen von Wertabhängigkeit der Wissenschaft erweisen (vgl. Beisbart 2022). Soweit Wertabhängigkeit die Auswahl wissenschaftlicher Fragestellungen und Untersuchungs-Designs betrifft (z.B. RCTs als Design der Untersuchung von Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, Duflo und Banerjee 2011) schadet sie dem Wissenschaftsvertrauen nicht. Wertabhängigkeit dieser Form („heuristic influence of non-epistemic values, vgl. Carrier 2021) kann im Gegenteil helfen, Probleme aus neuen Blickwinkeln in Angriff zu nehmen. Problematisch ist hingegen das Auftreten intransparenter Wertprämissen in der wissenschaftlichen Politikberatung.

CV

Prof. Dr. Andreas Bartels studierte Mathematik, Physik und Philosophie in Gießen; 1979 Diplom in Mathematik; Promotion zum Dr. phil. 1984 in Gießen mit einer Arbeit über Kausalitätsverletzungen in allgemeinrelativistischen Raumzeiten. Habilitation in Philosophie 1992 in Gießen mit der Arbeit Bedeutung und Begriffsgeschichte. Die Erzeugung wissenschaftlichen Verstehens. 1990/91 Visiting Fellow am Center for Philosophy of Science, University of Pittsburgh. 1993-97 Vertretungs-Professor an den Universitäten Heidelberg, FU Berlin, Gießen, Jena, LMU München und Erfurt. 1997-2000 Professur für Wissenschaftstheorie und Philosophie der Technik an der Universität Paderborn. 2000-2019 Professur für Natur- und Wissenschaftsphilosophie an der Universität Bonn, 2014-2018 Dekan der Philosophischen Fakultät. 2005-2008 Koordinator VW-Forschungsgruppen Wissen und Können Kognitive Fähigkeiten biologischer und künstlicher Systeme sowie (2008-2010) Natürliche Voraussetzungen kognitiver und sozialer Fähigkeiten. 2016-2019 Principal Investigator in der DFG-Forschungsgruppe Induktive Metaphysik. Buchveröffentlichungen u.a. Grundprobleme der modernen Naturphilosophie, UTB 1996, Strukturale Repräsentation, mentis 2005; Wissenschaftstheorie. Ein Studienbuch, mentis 2009 (hrsg. mit Manfred Stöckler); Naturgesetze in einer kausalen Welt, mentis 2015; Wissenschaft, de Gruyter 2021; Weshalb auf die Wissenschaft hören?, Springer 2022 (hrsg. mit Dennis Lehmkuhl), Grundprobleme der modernen Naturphilosophie, Springer 2023 (Neubearbeitung). 

ICS

Veranstaltungsdetails

14.06.2023, 18:30 Uhr - 20:00 Uhr
Ort: 24.53.01 Raum 81
Verantwortlichkeit: