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Kalendertermin

Annika Schlitte: "Posthuman Life? Zur Bedeutung des Lebensbegriffs in aktuellen Debatten um Natur/Kultur"

Aus den Instituten Philosophie Sonstiges

„Posthuman Life‘? Zur Bedeutung des Lebensbegriffs in aktuellen Debatten um Natur/Kultur“

Annika Schlitte

 

Abstract:

Die Hochphase der Lebensphilosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts teilt mit unserer Gegenwart ein Bewusstsein für die Schattenseiten des Fortschrittsdenkens und für die Krise, in welche die Modernisierung der europäischen Welt geraten ist. Damals wie heute sieht sich die Philosophie von Seiten der Wissenschaften angesichts von neuartigen theoretischen und technischen Entwicklungen zudem mit der Herausforderung eines dominanten reduktionistischen Naturalismus konfrontiert, auf die sie auch mit der Suche nach alternativen Denkansätzen reagiert. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass auch in aktuellen Debatten, die auf den menschengemachten Klimawandel und das Artensterben als ökologische Folgen des modernen Wirtschaftens reagieren, lebensphilosophische Motive wieder auftauchen.

Der Vortrag wendet sich in diesem Zusammenhang der heterogenen Strömung des Posthumanismus zu, welcher die Abkehr von einem anthropozentrischen Weltbild und die Überwindung eines dualistischen Verständnisses des Natur-Kultur-Verhältnisses fordert. Dabei spielt der Lebensbegriff bei verschiedenen Autor*innen eine zentrale Rolle. Während Rosi Braidotti mit dem Begriff der zōē eine Verbundenheit über Speziesgrenzen hinweg zu begründen sucht, nutzt Jane Bennett lebensphilosophische Denkmotive für die Entwicklung einer politischen Ökologie der Dinge. Nach einer Sondierung des Diskursfeldes sollen daher mit Braidotti und Bennett zwei prominente Positionen aus diesem Spektrum mit ihren Bezügen zur Lebensphilosophie vorgestellt und kritisch diskutiert werden.

Zur Person:

Annika Schlitte ist Professorin für Ästhetik und Kulturphilosophie an der Universität Greifswald sowie assoziiertes Mitglied des DFG Graduiertenkollegs 2589: Practicing Place: Soziokulturelle Praktiken und epistemische Konfigurationen. Nach der Promotion über Georg Simmels Philosophie des Geldes an der Ruhr-Universität Bochum  war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Juniorprofessorin für Sozial- und Kulturphilosophie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Kulturphilosophie, Phänomenologie, Hermeneutik sowie die Philosophie von Ort und Raum. Ihre jüngsten Publikationen umfassen Posthuman? Neue Perspektiven auf Natur/Kultur (hrsg. mit Torsten Cress und Oliwia Murawska, Fink, im Erscheinen); „‘A different sense of nature‘. Ästhetische Perspektiven auf Natur-Kultur-Verhältnisse“. In: Zeitschrift für Kulturphilosophie 2021/1. S. 143-159 sowie Die Handlungsmacht ästhetischer Objekte (hrsg. mit Markus Verne und Gregor Wedekind, De Gruyter 2021).

Zur Vorlesungsreihe

Das 19. Jahrhundert ist geprägt von der Entstehung unabhängiger Einzelwissenschaften und einer damit verbundenen Kompartmentalisierung von Erkenntnis: Spezifische Erfahrungsbereiche werden jeweils zum Gegenstand einer für sie mehr oder weniger exklusiv zuständigen Einzelwissenschaft, deren Methoden- und Begriffsinventar sich von demjenigen anderer Disziplinen unterscheidet. Als Kind des 19. Jahrhunderts erwächst die Lebensphilosophie nicht zuletzt in kritischer Absetzung von dieser Tendenz einer Entkopplung der Wissenschaften von anderen gesellschaftlichen Systemen und ihrer Auffächerung in Subdisziplinen und Spezialgebiete. Sie ist, wie Otto Friedrich Bollnow plakativ anmerkt, „durch eine ganz bestimmte Kampfstellung gekennzeichnet“, die sich insbesondere gegen die Vorstellung richtet, der Mensch als philosophierendes Subjekt ließe sich adäquat als Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis erfassen. Über die ,Abstoßbewegung‘ von einseitigen szientistischen und positivistischen Versuchen, das unmittelbare Erleben von Sinnhaftigkeit und individuellen Gestaltungsmöglichkeiten in formale Kategorien zu übersetzen, hinaus, geben die Vertreter der Lebensphilosophie damit einen wichtigen Impuls für die Weiterentwicklung philosophischer Methoden, der etwa in der Phänomenologie oder der Hermeneutik Ausdruck gefunden hat. Vor diesem Hintergrund werden im wöchentlichen Wechsel Expertinnen und Experten der Lebensphilosophie sowohl exemplarische Auseinandersetzungen mit einzelnen Positionen lebensphilosophischen Denkens von Schopenhauer und Nietzsche bis Dilthey und Simmel als auch Kontinuitäten zwischen der Lebensphilosophie und nachfolgenden Strömungen sowie systematische Weiterentwicklungen präsentieren.

ICS

Veranstaltungsdetails

10.07.2023, 16:30 Uhr - 18:00 Uhr
Ort: 23.21.U1 Raum 48
Verantwortlichkeit: